Ein ewiges Thema in meiner kleinen Welt, das „Du“ oder „Sie“ und auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt als der öde Spießer von nebenan wegkomme, das Wichtigste gleich vorweg: Ich werde niemals abgebrüht genug, schlecht erzogen genug, hip (das Wort ist offiziell sicher auch schon seit der Genfer Konvention 1864 ausgestorben) genug oder was auch immer sein, um alles und jeden zu duzen.
Früher war das denkbar einfach, wer erkennbar älter war, einen bestimmten Posten oder angesehenen Beruf hatte u.s.w., der wurde gesiezt. Das gehörte zum guten Ton. Heute haut dir jeder in der Bahn und beim Bäcker kumpelhaft auf die Schulter mit den Worten „ Ey du, kannste mal…“ . Gekrönt häufig nur noch von dem allseits beliebten „Alter“, was die Vertraulichkeit und Nähe dann wohl noch etwas verdeutlichen soll. Mittlerweile komme ich mir vor, als hätte ich mit mindestens der Hälfte der Bevölkerung schon mal Schweine gehütet.
Und wie so oft schlagen auch in diesem Fall zwei Herzen in meiner Brust. Häufig ist das Empfinden dafür Tagesform abhängig. Bei schönem Wetter und Spitzenlaune könnte ich zu allen du sagen. So ähnlich wie bei den Weihnachtsfeierbekanntschaften, bei denen sich zum Ende des Abends immer alle ganz doll lieb haben. Peinlich wird es erst beim nächsten Treffen. Wie kommt man da denn wieder raus?
Duzen mich ältere Menschen bin ich besonders in der Zwickmühle.Habe ich doch immer das unbestimmte Gefühl, dass sie mich nicht richtig ernst nehmen, als wäre ich ein kleines Dummchen dass erst mal zeigen müsste, dass es mehr drauf hat, als nett lächeln und gut aussehen. Und wenn ich da mitmache, wirkt das Klischee dann bestätigt? Wenn ich vehement „Sie“ sage, komme ich dann spröde rüber?
Die besondere Überraschung gibt es dann bei Telefonbekannschaften. Mit Kunden erzählt man da ja schon mal geraume Zeit, berät und lacht. Ist sich sympathisch, leidet unter simultanen Gedankengängen und hat ein Bild von dem Menschen am anderen Ende der Leitung im Kopf...Da stehen sie plötzlich vor dir: Professor, Doktor irgendwas- graue Schläfen- distinguiert- im Anzug- mit Krawatte. Und dir fehlen die Worte, hast du dich 30min früher noch zu einem echten Schenkelklopfer hinreißen lassen. Lachen oder Weinen? Ich weiß nicht recht, ein Loch im Boden ist da auch nicht zu verachten!! Nicht zu vergessen, die Menschen, die jünger sind. Duzt mich ein Bübchen von vielleicht 16 Jahren, der sich natürlich total erwachsen vorkommt (war ja bei uns nicht anders in dem Alter) und ich hingegen überlege, wie lange wohl seine letzte Pampers her ist und ob der Schatten im Gesicht ein Bartflaum ist oder ordinärer Dreck, dann habe ich damit schon ein Problem. In manchen Stammeskulturen und bestimmten Stadtteilen vieler Großstädte könnte ich seine Mutter sein, bei zeitgerechter Planung. Sagt so einer hingegen „Sie“ mit ordentlichem Respekt in der Stimme, schaue ich verstohlen an mir runter und frage mich, wie ich es geschafft habe über Nacht zum Knastaufseher zu mutierten und wie pergamentartig alt ich für den wohl aussehen muss. Wahrscheinlich aber hat er auch einfach nur noch Erziehung genossen in seinen Kindertagen.
Ich persönlich mag die Version mit dem Vornamen und dem Sie. Das wirkt vertraut ohne zu viel Nähe, und es lässt Luft nach oben erahnen…. Wie einfach haben es da andere Bevölkerungsgruppen, da gibt die Sprache die Problematik gar nicht erst her. Aber worum würde ich mir denn dann einen Kopf machen?
Fazit des Tages: Hört auf Annett Louisan, sie scheint eine schlaue Frau zu sein und hat das Thema schon vor Jahren erkannt.